Wenn wir den Bürgern antworten, warum wir eine eigene Partei gegründet haben, ernten wir häufig ungläubiges Staunen: den Wenigsten ist bewusst, dass es sich bei den Friesen in Deutschland zwar um deutsche Staatsbürger, aber trotzdem um ein eigenständiges Volk mit eigenen Sprachen, eigener Kultur, eigenen Traditionen – kurz: mit einer eigenen Identität – handelt, die sich erheblich vom gemeindeutschen unterscheidet. Diese Eigenständigkeit ist nicht besser oder schlechter, sondern nur anders!
Fakt ist, dass die friesische Geschichte erheblich von der deutschen und der europäischen Geschichte abweicht: so gab es nur hier, in den Frieslanden, das einmalige Ereignis einer frühen, selbstbestimmten demokratischen Gesellschaft in Form der „Friesischen Freiheit“. Diese ist für uns mehr als pure Nostalgie: sie ist für uns das politische Vorbild, ein Zustand, den wir, soweit es im Europa des 21. Jahrhunderts möglich ist, wieder erreichen wollen. Wesentliche politische Errungenschaften, die erst in den letzten Jahrzehnten für viele Menschen selbstverständlich geworden sind, haben ihren Ursprung in den Frieslanden.
Als die Reformer der französischen Revolution ihren Wahlspruch „Liberté, Egalité, Fraternité“ („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) prägten, waren die Friesen bereits schon seit tausend Jahren ein Volk freier Menschen. So heißt es in der ersten Magnus-Küre:
Dae kaes Magnus den aersta kerre, dat alle Fresen were friheren, di berna ende di oenberna, alsoe langhe als di wijnd fan wolkenem waide ende dio wrald stoede, eide wollet wessa mey dae kerre des konyngis haga heranaten.
(Da wählte Magnus [Forteman] als erste Küre, dass alle Friesen Vollfreie sein sollten, der Geborene und der Ungeborene, solange der Wind von den Wolken wehen und die Welt bestehen würde, und dass sie aus freier Wahl des Königs edle Heergenossen sein wollten.)
Der Respekt vor der persönlichen Freiheit, aber auch die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes gegen die Bedrohung durch die Nordsee, war es denn auch, was die Friesen dazu bewegte, ihre Angelegenheiten demokratisch zu regeln.
Als unverheiratete Frau arbeitete sie aktiv in den Bauernräten, den politischen Gremien, mit. Sie ging nicht, wie üblich, ins Kloster. Sie lehnte vehement die korrupte katholische Kirche ab und starb in der Schlacht gegen das Heer des Erzbischofs von Bremen, der Steuern eintreiben wollte. An dieser leider verlorenen Schlacht nahmen über 500 Mädchen und Frauen teil.
Genossenschaftliche Sozialstrukturen (seit 884 Theelacht, seit 1562 Leegemoorgesellschaft) sind ebenso konsequentes Ergebnis einer freien, demokratischen Gesellschaft, wie zum Beispiel die „Freie Mühlenfahrt“. Nach der Inbesitznahme Ostfrieslands durch den Preußenkönig Friedrich II im Jahr 1744 hielt das preußisches Recht Einzug in Ostfriesland. Es galt jetzt die Zwangsmüllerei, d.h. einer Zwangs- oder Bannmühle war eine Anzahl von Dörfern als Zwangsmahlgäste zugewiesen. Die Ostfriesen erstritten aber ihr Recht, weiterhin auf einer ihnen günstig gelegenen Mühle mahlen zu lassen, die freie Mühlenfahrt. Das hatte auch zur Folge, dass sich in Ostfriesland kleine Mühlen neben anderen großen fürstlichen Mühlen halten konnten.
(Foto: Matthias Süßen)
Es wurde ein Vertrag zwischen den Grafen und den Ständen geschlossen und eine weitgehende Beschränkung der gräflichen Befugnisse festgehalten. Die Stände erhielten Steuerhoheit und auch das gräfliche Hofgericht wurde der Aufsicht der Stände unterstellt. Die Abgaben der Bauern an den Landesherren wurden beschränkt und auch das Recht der Landesgemeinden, ihre Deich- und Sielrichter frei wählen zu können wurde beschlossen.
Eine besondere Zeit der Friesen war zweifelsohne die vom friesischen Geschichtsschreiber Ubbo Emmius verherrlichte Zeit des Upstalsboom – Bundes (Mitte des 12. Jhd. – Mitte des 14. Jhd.); eine Zeit, in der die gewählten Vertreter (Redjeve) am Upstalsboom in Rahe bei Aurich am Dienstag nach Pfingsten zusammentrafen, um Recht zu sprechen und Gesetze zu erlassen. Dabei galt der typisch friesische Grundsatz: Ein Gesetz gilt solange, bis jemand ein besseres weiß. Leider hat diese Freiheit auch einen negativen Aspekt gehabt: die Friesen sahen die persönliche Freiheit für wichtiger an als ein eigenes Staatswesen. Man hatte schon zu viele Staaten kommen und gehen sehen und daher darauf verzichtet, einen Nationalstaat Friesland auszurufen, obwohl mehrfach die Gelegenheit dazu gegeben war.
Friesland war – aufgrund seiner guten, nährstoffreichen Böden (Landwirtschaft) und seiner Nähe zum Meer (Fischfang und Handel) – ein reiches Land, was immer auch die Begehrlichkeiten fremder Herrscher weckte. Über tausend Jahre gelang es den Friesen, trotz vorübergehender Fremdherrschaften, ihre Eigenständigkeit und ihr eigenes Gesetzeswesen zu bewahren.
Erst mit dem „Verkauf“ an das Königreich Hannover begann der Niedergang der friesischen Identität – was Kriege, Kirchen und Katastrophen nicht vollbracht hatten, gelang der Verwaltung in Hannover. Die Tatsache, dass es unseren Brüdern und Schwestern unter Niederländischer bzw. Schleswig-Holsteinischer / Dänischer Herrschaft nicht besser erging, ist dabei kein Trost.
Seit einigen Jahren hat sich der Identitätsverlust dramatisch verschärft:
Zum einen liegt es an der Globalisierung, an der Medienlandschaft, an Politikern, die sich mit dem Gedanken tragen, eine „deutsche Leitkultur“ zu etablieren; aber in viel stärkerem Maße noch daran, dass den Friesen die eigene Geschichte nicht mehr nahe gebracht wird. In der Schule lernen unsere Kinder von großen, kahlen und dicken Karls, von Fuggern, Stauffern und Habsburgern, aber von den außergewöhnlichen Errungenschaften der eigenen Vorfahren lernen sie nichts mehr.
Der stetige Verlust der eigenen Sprachen, das Plattdeutsch und das Saterfriesisch, sowie fehlende wirtschaftliche Perspektiven verschärfen das Problem und haben uns schließlich im Juni 2007 bewogen, mit der Gründung einer eigenen Interessenvertretung auf uns aufmerksam zu machen, um zu retten, was noch zu retten ist.
Weitere Informationen:
Beispiele vormoderner Genossenschaften (www.genossenschaftsgeschichte.info)